Die Vergessenen in der Wüste

Die Vergessenen in der Wüste


„Post aus“ – Was Studierende außerhalb des Semesteralltags erleben, wo sie ihre Praktika absolvieren und welche Menschen sie auf ihren Reisen treffen, davon berichten sie selbst in dieser Reihe. Diesmal berichtet Mohammed aus Jordanien…

„Hi, mein Name ist Bassem*. Ich bin 28 und lebe in der Wüste. IN DER WÜSTE! Ist das zu glauben? Ich tue es manchmal selber nicht. Was mir die Zukunft bringen wird? Solche Pläne kann ich nicht aufstellen. Ich weiß ja nicht einmal, was in zwei Tagen passieren wird!“ Es sind diese Sätze, die mir bei meinem ersten Aufeinandertreffen mit einem jungen Mann entgegnen, der schon einiges in seinem Leben erlebt hat und dem die Anstrengungen der Zeit anzusehen sind. Ausgemergelt, eine selbstgedrehte Zigarette rauchend, sitzt er auf dem Boden und schaut mich gedankenverloren an. Momentan befinde ich mich in Jordanien und habe mit einer großen Anzahl von Syrer*innen gesprochen, die in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, leben. Das haschemitische Königreich Jordanien hat bisher – laut Angaben des UNHCR – mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Freunde berichteten mir, dass sie ebenfalls syrische Flüchtlinge in Wadi Rum angetroffen hätten, die in den für Touristen errichteten Beduinencamps Arbeit gefunden haben und dort leben. Das Wadi Rum ist das größte Wadi in Jordanien, steht seit 2011 auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO und liegt östlich der Stadt Aqaba im Süden des Landes. Im Dorf Wadi Rum wohnen mehrere hundert Beduinen, die sich auf den Tourismus als Haupteinnahmequelle spezialisiert haben. Vor allem ausländische Besucher*innen suchen die Region auf, um die Gegend zu erkunden.

Auf nach Wadi Rum

Ein Campleiter hatte mir telefonisch bestätigt, dass er einen syrischen Flüchtling beschäftigt, woraufhin ich beschloss, mir selbst ein Bild zu machen. Ich wollte persönlich die Geschichte eines Flüchtlings hören. Im Touristenlager angekommen, lernte ich Bassem kennen. Er ist verheiratet und kommt ursprünglich aus Dar’aa, einer Stadt im Süden Syriens. Im Juli 2013 floh er aus der umkämpften Region und fand in Amman eine temporäre Zuflucht. „Seit dem Beginn der Proteste habe ich unermüdlich an Demonstrationen teilgenommen, bis der bewaffnete Widerstand zur einzigen Möglichkeit wurde.“, erklärt Bassem, während er mich abwechselnd mustert und wieder in die Gegend schaut. „Die sich stetig verschlechternde Lage zerstörte meine Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Not und war auch der Grund für meine Flucht. In Amman wohnte ich bei meinem älteren Bruder und seiner 6-köpfigen Familie“, erzählt er, bevor sein Blick gedankenverloren in die Ferne abschweift.

Sand und Felsen, soweit das Auge reicht – das Wadi Rum im Süden Jordaniens.
Sand und Felsen, soweit das Auge reicht – das Wadi Rum im Süden Jordaniens.

Was aus dem Leben in Amman wurde, wollte ich von ihm wissen: „Die Enge trieb mich in den Wahnsinn“, sagt Bassem, während er sich die erste von vielen Zigaretten anzündet. „Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern, einer kleinen Kochnische und einer Toilette, die außerhalb der Wohnung lag und mit den Nachbarn geteilt werden musste. Ich schlief zusammen mit meinem Bruder und seinen zwei Söhnen im Wohnzimmer, die Frauen im anderen Raum. Syrer*innen haben es in Jordanien momentan sehr schwer, Arbeit zu finden. Meine Versuche und Anfragen blieben leider erfolglos. Viele Geschäftsleute hatten Angst, mich einzustellen und lehnten daher sofort ab. Einige erklärten sich bereit und boten einen Lohn an, der weit unterhalb des Gehalts für jordanische ArbeiterInnen liegt. Wo ist da die Gerechtigkeit? Wie soll ich so meine kleine Familie ernähren?“ Bassem hielt das ganze kaum eine Woche aus und suchte nach Alternativen. Per Zufall traf er in einem Café einen Campleiter aus Wadi Rum, der ihm das Angebot unterbreitete, im Beduinenlager zu arbeiten. Er könne dort zusammen mit seiner Frau, die bisher noch bei ihrer Familie geblieben war, leben; dazu noch ein Gehalt, das in Jordanien ungefähr im unteren Durchschnitt liegt. Bassem willigte ein.

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Im Camp angekommen, machte ihn als erstes die Wüste und das Klima zu schaffen. „Mit der Wüste verbinden wir immer Hitze, Sand und Leere, aber richtig fühlen tun wir es erst, wenn wir wirklich dort sind! Da ich nicht mit den Touristen in den klassisch-traditionellen Zelten leben kann, habe ich ein Zelt mitgebracht, das mir die UN gab. Das steht direkt hinter dem Camp und ich kann so die sanitären Einrichtungen sowie die Küche des Lagers nutzen.“ Bassem erzählt von seinem Tagesablauf, vom Vorbereiten des Frühstücks und vom Aufräumen und Putzen der Zimmer. Besonders hart jedoch sei der Ausgang mit der Ziegenherde, mit der er mehrere Stunden am Tag in der prallen Sonne unterwegs ist. „Zurück im Camp muss ich schon das Abendessen für die neuen TouristInnen vorbereiten, meist sind es um die 40. Im August habe ich an einem Abend für 86 Menschen gekocht! Nach dem Abendessen spüle ich ab und habe etwas Zeit für mich.“

Die Wüste als Zufluchtsort

Bassem erzählt mir, dass seine Frau diesen Frühling endlich auch nach Wadi Rum gezogen ist. „Es ist nicht das Leben, das wir uns erhofft haben, aber wir haben genug zu essen und werden hier – in der Wüste – gut behandelt.“, fährt er mit seiner Geschichte fort. „Im Gegensatz zu den meisten Jordanier*innen in den Städten urteilen die Beduinen nicht sofort aufgrund meiner syrischen Herkunft, sondern geben mir die Chance, mich vorzustellen. Seit einiger Zeit gibt es auch in den umliegenden Beduinenlagern ungefähr 30 syrische Flüchtlinge, die dort leben und arbeiten. Anders als in Amman kann ich manchmal einige Augenblicke für mich erübrigen, um die friedliche Stille zu spüren. Niemand schreit mich an oder behandelt mich wie einen Menschen zweiter Klasse. In der jordanischen Gesellschaft stören mich am meisten die wachsende Diskriminierung und die unfaire Behandlung der syrischen Flüchtlinge. So musste auch ich mir Beleidigungen anhören und bekam mit, wie Menschen negativ über mich sprachen. Einige forderten sogar eine Abschiebung der SyrerInnen, weil diese angeblich ihr Land wirtschaftlich ruinierten.“

„Einige Augenblicke für mich sein, um die friedliche Stille zu spüren“: Bassem über sein Leben in Wadi Rum.
„Einige Augenblicke für mich sein, um die friedliche Stille zu spüren“: Bassem über sein Leben in Wadi Rum.

Die Hoffnung, dass der Konflikt in Syrien gelöst wird, stirbt bekanntlich zuletzt. „Die Geduld ist eine Tugend, die ich hier auf die harte Weise lernen musste. Ich weiß nur, dass es mir hier besser geht als in Dar’aa während des Konflikts.“ Er hört abrupt auf, zu sprechen und es entsteht eine lange, ohrenbetäubende Stille. Als ich ihn auf auf seine zurückgebliebene Familie anspreche, wird Bassem zunächst nachdenklich, ehe wieder eine Zigarette angezündet wird. „ Zu meiner Familie habe ich leider nur noch unregelmäßigen Kontakt. Meist bitten sie mich um Geld, da sich die Lage weiterhin verschlechtert hat. Das Leben in Jordanien ist jedoch viel teurer als in Syrien, sodass ich nur manchmal Geld erübrigen kann. Auf Unterstützung von Hilfsorganisationen brauchen wir hier nicht zu warten – wir sind die Vergessenen in der einsamen Wüste.“

Eine Generation ohne Träume?

Trotzdem hat auch Bassem Träume, wenn er an die Zukunft denkt. „Ich hoffe, eines Tages in ein richtiges Haus ziehen zu können, wo meine Frau und ich unsere Ruhe und Privatsphäre haben werden. Letztendlich aber wünscht sich Bassem nichts mehr, als dass der Krieg in Syrien aufhört. Nur so könne und wolle er wieder in sein altes Leben zurück. Sich an den Gedanken zu gewöhnen, ewig in Jordanien bleiben zu müssen, das möchte Bassem lieber nicht. „In Jordanien fühle ich mich wie ein ungebetener Gast“. sagt er. Und dann sei da auch immer noch die Angst, dass im Winter keine Tourist*innen kommen und die Arbeit wegbliebe.  Mein Eindruck, der nach dem Gespräch, all den Eindrücken hier und dem tagtäglichen Lesen von schlechten Nachrichten bleibt?: Es wachsen Generationen traumatisierter Menschen ohne Perspektiven heran – mit fatalen Folgen für sich und die Länder, in denen sie nun leben. So lange Menschen wie Bassem und seine Frau vergessen bleiben und keine Chancen bekommen, sich selbst zu helfen, wird die Problematik mit jedem weiteren Bürgerkriegstag in Syrien nur noch größer.

* Der Name wurde vom Autor geändert.

WAS IN SYRIEN PASSIERTDer arabische Frühling erreichte Syrien erst, als in Tunesien Ben Ali bereits aus dem Land verjagt war, in Ägypten Mubarak unter Hausarrest stand, im Jemen Hunderttausende für die Freiheit demonstrierten und in Libyen die Rebellen angefangen hatten, sich zu koordinieren. Die Menschen begehrten gegen die politische Unterdrückung auf und gingen auf die Straßen, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Die Angst wechselte die Seiten: Das Regime fürchtete sich vor der Bevölkerung und antwortete mit äußerster Brutalität. Erst nach Monaten der brutalen Unterdrückung der Proteste führte die Gewalt zur Gegengewalt. Zunächst begannen Soldaten der Armee zu desertieren, weil sie dem Schießbefehl auf die eigene Bevölkerung nicht länger nachkommen wollten. Einige der Gruppen gehen längst mit eigenen Aktionen und Angriffen gegen die Armee des Regimes und mitunter auch Gegner in der Opposition vor. Die Spirale der Gewalt führte zum Einsatz immer schwererer Waffen seitens der Konfliktparteien, darunter auch chemische Angriffe durch das Regime. Syrien wurde auch zum Kampfgebiet islamistischer Kämpfer, die teilweise aus dem Ausland kommen. Besonderes Augenmerk liegt jedoch auf den zivilgesellschaftlichen Strukturen, welche alternative Bildungseinrichtungen gründen und basisdemokratisch aufgebaut sind. Diese Strukturen stellen einen möglichen Ausweg aus dem Krieg dar, da sie sowohl gegen die extremistischen Gruppen als auch gegen das diktatorische Regime agieren und eine gewaltfreie Konflikttransformation anstreben.

 

FOTOS: Oxfam International auf flickr.com, CC-Lizenz, Mohammed Al Hayek, Wikicommons, CC-Lizenz.

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